Müde

Geht mir jetzt schon die Luft aus?

Sicher, so ein Küken mit seiner hohen Pulsfrequenz und in unserer industrialisierten Welt heute Tag und Nacht auf Trab gehalten,  hat keine hohe Lebenserwartung.

Aber dass ich jetzt schon keine Kraft mehr verspüre, mich aufzulehnen?

Egal wie ich es diese Woche drehe und wende, ich kann mich einfach nicht aufregen. Nicht, dass es nicht genug Anlässe gäbe, ganz im Gegenteil.

Vom Laubsauger des Hausmeister (wohlbemerkt im Januar in einem kahlen gepflasterten Hinterhof) unter dem Fenster, hinter dem ich versuche zu arbeiten, angefangen, über alte und neue familiäre bis politische Konflikte (nicht nur PEgIdA scheint in Auflösungsprozessen begriffen, bei denen man nicht weiß, ob daraus nicht viel Schlimmeres erwachsen wird), bis hin zu diesen ewig grantigen Passanten, würde sich eine Vielzahl an Themen förmlich aufdrängen.

Aber ich will nicht. Ich bin einfach zu müde. Selbst wenn die Wut kurz aufflammt, erlischt sie im Getummel der Schneeflocken gleich wieder.

Es scheint als bräuchte auch ein Wutküken einmal Winterschlaf. Und das ist auch gut so, denn ohne Winter kein Frühling.

Gute Nacht und bis nächste Woche… -.-

 

Nur zwei kleine Buchstaben?

Eine Reportage über eine angemessene Versorgung dementer Patienten in Krankenhäusern. In einigen Modellen werden neue, umfassende Konzepte getestet, die zum Beispiel Geriatrie und Chirurgie auf einer Krankenstation vereinen, um demente Patienten bei entsprechenden Verletzungen besser betreuen zu können. Eine tolle und sicher auch notwendige Entwicklung, keine Frage.
Doch meine Aufmerksamkeit bleibt an einer scheinbaren Randbemerkung hängen. Als es darum geht, wie gerade demente Patienten möglichst früh nach einer Operation wieder mobil werden können, erläutert eine Physiotherapeutin, dass die Operierten meist schon im Laufe des folgenden Tages in ihrem Bett beübt würden. Ja, ganz richtig beübt. Ich werde stutzig. Nicht nur, dass die Rechtschreibprüfung meines PCs mit diesem Präfix nichts anfangen kann, mir selbst erscheint es auch schleierhaft, wie diese passive Wendung zu einer Tätigkeit wie „üben“ passen soll. Sicherlich ist frühe Mobilisation nach heutigem Erkenntnisstand der Medizin nichts Schlechtes. Aber ist die Entscheidung zu üben nicht etwas zutiefst Subjektives? Ich höre noch meine Mutter: „Hast du schon die Vokabeln geübt?“. Oder meinen Klavierlehrer verzweifeln, wenn ich wieder mal nicht die Fingerübungen geübt hatte. Hätten sie vielleicht auch lieber gleich selbst zur Tat schreiten sollen und anstatt zu klagen, mich einfach beüben sollen? Und wenn ja, wie hätte das ausgesehen? Wäre Mama mir laut rezitierend und buchstabierend mit dem Vokabelheft in den Garten oder zur Eisdiele gefolgt? Oder hätte Herr Hermann, mein Klavierlehrer, mir in Zusatzstunden jeden Finger einzeln auf die Tasten gelegt? – Eine gruselige Vorstellung, für alle Beteiligten. Es erinnert irgendwie an Gehirnwäsche-Szenarien.
Hier mögen einige vielleicht einwenden, dass dieses Beispiel hinkt, entstammt es doch einem privaten Umfeld, der Ausdruck des „Beübens“ bei der Physiotherapeutin zeige aber gerade ihre Professionalität an. Das mag stimmen. Dennoch läuft es mir kalt den Rücken hinunter, wenn im Zuge einer fortschreitenden Professionalisierung gerade im Bereich der sozialen Berufe solche vermeintlich politisch neutralen und korrekten Begriffe etabliert werden. Bei näherem Hinsehen vermitteln diese nämlich eine gewisse Fragwürdigkeit in Bezug auf die Freiheit der eigentlichen Akteure der Handlung (was nicht heißen soll, dass bewegungseingeschränkte Patienten keine Hilfe erfahren sollen).
Sicher wir alle sind mehr oder weniger unfreiwillig zur Schule gegangen, aber wie hört es sich an, wenn wir heute unsere Kinder beschulen (laut Duden: „mit Unterricht versorgen“) lassen? Ist nicht auch das wieder ein Ausdruck für die weitere Normierung und Optimierung des Humankapitals „Mensch“. Wie kann sich der einzelne einer solchen „Versorgung“ überhaupt noch entziehen? Die herrliche Freiheit, auch einmal faul zu sein, einmal nicht zu funktionieren, lieber zu spielen als Hausaufgaben zu machen oder den Nachmittagsunterricht an einem schönen Sommertag zu schwänzen, nicht mehr als Schwäche (oder auch „Charakterstärke“) des Kindes zu verstehen, sondern als Mangel im Beschulungs-Konzept? Wohin mit der alten Volksweisheit, der zufolge man nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen soll?
Gerade die Leistungschwächsten unserer Gesellschaft werden in mit Hilfe der neuen Fachtermini in Schablonen gepresst, die ihnen unmissverständlich zeigen sollen, wo ihr Weg hinzuführen hat, nämlich immer nur zu „ihrem Besten“, gleich ob sie dorthin gehen wollen oder nicht. So werden nicht nur Schüler beschult, sondern eben auch Patienten beübt und pflegebedürftigen Senioren ihre Mahlzeiten eingegeben (füttern erinnere zu stark an Tierhaltung). Eingegeben wie Passwörter in den Computer in Erwartung dessen, was er daraufhin wohl ausspucken wird. Dass eine solche Fachsprache zwar korrekt, menschlich aber zutiefst verstörend sein kann, zeigt sich nur allzu oft in der Praxis. Nämlich dann wenn die zu bearbeitenden Zielpersonen mit diesen einmal in Berührung kommen und schlicht die Welt nicht mehr verstehen.
Vielleicht fallen die zwei kleinen Buchstaben auch deshalb im zwischenmenschlichen Kontakt meistens (noch) unter den Tisch. „Guten Morgen Frau Maier, ich bin hier, um heute mit Ihnen zu üben.“, klingt immer noch einladender als „Guten Tag Herr Schulze, ich werde sie jetzt beüben.“ Wir sind schließlich noch nicht total bescheuert.

Von unspektakulären Arten des Sterbens

Diese Woche waren die Medien mal wieder voll von dramatischen Weisen des Sterbens. Da wurden Karikaturisten, Polizisten und Supermarktkunden einfach ins Jenseits geschossen ebenso wie kurz darauf ihre Schlächter. Ganze Dörfer im Norden Nigerias wurden ausgelöscht und zehnjährige Mädchen sprengten sich mitsamt den sie umgebenden Menschen in die Luft. Es starben Muslime, Christen, Atheisten – Menschen. Mit all jenen starb nicht nur wieder ein großes Stück unserer allgemeinen Unbeschwertheit, sondern ebenso große Teile einer wirklich freien Presse und der Besonnenheit im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung.
So sehr mich diese Meldungen berührten. Ich will hier nicht noch weiteres Öl ins Feuer gießen. Mindestens ebenso sehr leide ich derzeit mit denen, deren Sterben keine Presseagentur interessiert. Mit denen, die nur wenige Kilometer von mir entfernt auf ihr Ende warten oder hoffen und , als wäre dieser letzte Lebensabschnitt nicht schon schwer genug, von ihrem Umfeld noch zusätzlich daran gehindert werden, ihren Frieden machen zu können.
Da ist die 60jährige Frau, die vielleicht noch wenige Wochen zu leben hat und nichts davon weiß. Sie hofft darauf, nächsten Sommer diese Schmerzen und diese schrecklichen Wassereinlagerungen in ihrem Körper wieder los zu sein. Sie hofft darauf, dann diesem schrecklichen Pflegeheim entkommen zu können, in dem sie sich ein Zimmer mit dieser aggressiven, dementen alten Dame teilen muss. Vor ein paar Wochen fühlte sie sich doch noch ganz gesund. So sitzt sie jetzt da, versucht sich, so gut es geht, mit Fernsehschauen abzulenken, lässt die Punktionen über sich ergehen und freut sich, wenn ihre Tochter sie manchmal besucht. Doch warum bringt diese ihre Enkelinnen nicht mit? Sollen sie ihre Oma so nicht sehen?
Weder die Ärzte noch die völlig überforderte Tochter brachten es bisher übers Herz dieser Frau reinen Wein über ihren tatsächlichen Gesundheitszustand einzuschenken. Sie kann ihre letzten Dinge nicht regeln, sich nicht bewusst verabschieden, obwohl ihr Tod nicht plötzlich kommen wird, er klopft schon an die Tür.
Ein anderer Mann, an die 90 Jahr alt, hat ihm bereits die Tür geöffnet. Er ist so müde von all den Operationen und lebensverlängernden Maßnahmen. Er kann nicht mehr. Er hat sich bereits von seinen Lieben verabschiedet, weiß, dass sie auch ohne ihn zurechtkommen werden. Sein Leben war gut, er ist bereit. Aber sein Vormund ist es nicht: er weiß mit diesen Gefühlen nicht umzugehen, zu endgültig erscheint ihm der Tod, noch ist nicht alles versucht. Und so steht der nächste Eingriff an, der wahrscheinlich mehr das Gewissen des Vormunds als die Beschwerden des Patienten lindern wird.
Ulrich Wickert hat, sicherlich völlig zurecht, dieser Tage die Aufrichtigkeit des Chefredakteurs von Charlie Hebdo gepriesen. Doch im Alltag gehört mehr dazu, aufrichtig zu leben als nur „je suis Charlie“ zu skandieren. Aufrichtiges Handeln ist nur selten heroisch. Es fängt meistens mit dem ebenso einfachen wie schweren Eingeständnis der eigenen Endlichkeit an. Aufrichtiges Handeln kann auch heißen, denen, deren Leben sich dem Ende zuneigt, ein aufrechtes Sterben zu ermöglichen, auch und gerade wenn das eigene Ende noch fern sein mag.

Bild: Magnus Shaw
Bild: Magnus Shaw

Was mich an WüGIDA wirklich wütend macht

Als ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit die PEGIDA-Demonstrationen auch in unserem beschaulichen Würzburg das Licht erblickten, konnte ich es zu Anfang gar nicht wirklich fassen. Ich habe das Ganze auch erst einmal nicht sonderlich ernst genommen.
Allerdings machte mich allein schon der Name „WügIdA“ zusehends wütender. Da reisten mitunter Menschen sogar extra an, um in „meinem“ Namen Hass und Missgunst in die Straßen der Stadt zu tragen, die ich doch selbst, wenn auch nur als „Zugereiste“, weitestgehend als eine offene und bunte Stadt erlebt hatte.
Ich habe so meine Zweifel, wie PEGIDA das Gesicht „meines“ Würzburgs verändern wird. Es geht mir dabei nicht nur um die Inhalte dieser Bewegung, die ich persönlich nicht teilen kann und als menschenverachtend empfinde. Meine Befürchtung betrifft vor allem auch die Stimmung, die durch das Auftreten dieser Bewegung in unserer Gesellschaft erzeugt wird. Polemik macht sich breit, die so genannte „Debatte“ wirkt nur allzu oft überheblich und bisweilen aggressiv. Es ist wieder kälter geworden…
Besonders schwer aber fällt es mir, die derzeit in vielen Medien herangezogene, „sachliche“ Begründung für das Entstehen der PEGIDA-Bewegung nachzuvollziehen. Da ist immer wieder von einem „Gefühl des Abgehängt-seins“ und von „Abstiegsängsten“ die Rede. Nicht, dass ich solche Gefühle oder Zukunftsängste nicht verstehen oder in gewisser Hinsicht sogar teilen könnte. Aber wie muss man in seinem Innern gestrickt sein, um seine eigenen Existenzängste und Befürchtungen gegen die zu wenden, denen es selbst offenkundig in dieser Hinsicht noch viel schlechter geht? Gegen die, die in ihrer Heimat nicht nur abgehängt sondern regelrecht verlassen oder gar verfolgt wurden. Gegen die, die nicht bloß um das Morgen, sondern um das Heute bangen müssen. Das Gefährliche an PEGIDA aber ist meiner Meinung nach nicht nur, dass sich der Zorn hier gegen die Schwächsten wendet, sondern dass hier ein Keil zwischen diejenigen getrieben wird, die sich in ihren Nöten, Ängsten und ihrer Hilflosigkeit solidarisieren sollten, nicht nur im Abendland, aber auch und vor allem hier. Anstatt sich gegenseitig „Nazis raus“, „Wer Deutschland nicht liebt raus“ oder entgegen zu schreien, sollte tatkräftig und konstruktiv über konkrete Verteilungs- und Hilfsprobleme diskutiert werden. Diese treten aber durch die PEGIDA-Debatte völlig in den Hintergrund. In den Medien sehe ich heute Bilder von der Münchner Gegendemo zu PEGIDA oder von CSU-Politkern, die sich zu einer Änderung des Asylverfahrens äußern, aber keine Berichte mehr aus Flüchtlingskasernen.
Ähnliche Szenen vor meiner Haustür: WÜGIDA –Demonstranten genauso wie ihre Gegner beanspruchen beide christliche Werte für sich. Während die einen ein weißes Kreuz ihrem Tross vorantragen, zitieren die anderen Bibelverse, in denen Jesus zur Aufnahme von Fremden aufruft. Ihren hilfebedürftigen Nächsten am Straßenrand scheinen Anhänger beider Seiten dabei kaum wahrzunehmen.
Ein Spruch meiner Großmutter kommt mir in den Sinn: Wer schreit, hat Unrecht.

Doch zuletzt ein Lichtblick unweit der dunklen Neubaukirche: Ein junger Mann löst sich spontan aus der Menge des Montagsspaziergangs „Würzburg lebt Respekt“. Er ergreift das Mikrophon der Kundgebung und binnen Augenblicken die Herzen aller Zuhörer. Er bedankt sich schlicht für seine Aufnahme in diesem Land und in dieser Stadt vor 23 Jahren als er aus Sri Lanka hierher flüchten musste. All die Unterstützung, die er seitdem erfahren durfte, habe ihn in seinem Glauben an die Menschlichkeit bestärkt.
Ich hoffe, wir begegnen uns bald wieder in den Straßen Würzburgs. Und ich hoffe, dass dann keine Parolen mehr erklingen werden.